„VORSICHT“ Verlag Matthias Ess, Bad Kreuznach, Ausgabe September 2003
Fürst Rainier von Monaco schreitet durch seinen Palast, nachdenklich, gebeugt von Alter und Krankheit, dennoch würdevoll. Schnitt. Szenen eines rauschenden Festes in Schwarz-Weiß, Rainier, tanzend, vor rund 40 Jahren. Im Arm die traumhaft schöne Grace Kelly. Schnitt. Ein trauernder Rainier heute. Schnitt. Ein Wagen rast auf die Mauer der Küstenstraße zu. Schnitt.

Trockene Bilder eines zweiteiligen Films der einmal bewegend die Geschichte des Fürstentums Monaco und das glamouröse Leben des Fürsten und seiner Familie beschreiben soll. Ende September wird er im ZDF gesendet. Doch eine entscheidende Zutat fehlt noch: die Musik. Denn was wären die großartigsten Filme ohne musikalische Begleitung? Musik erzeugt Spannung, Emotionen, sie macht den Bösewicht böse und lässt die Guten erstrahlen. Tobias Bösel und Siegfried Rolletter sitzen vor dem Bildschirm, auf dem die Rohfassung der Reportage abläuft. Ihre Aufgabe ist es, die Musik für diese Reportage zu schreiben und ihr so Leben und Gefühl einzuhauchen. Sie sind Komponisten; Musiker und Arrangeure, deren Arbeiten Millionen von Menschen schon gehört haben, deren Gesichter aber nur die Redakteure und Autoren kennen, die die Filme gedreht haben. Die Liste ihrer Referenzen ist lang.

Von Ihnen stammen u.a. die Titelmusiken für den „Länderspiegel“, den „Kaffeklatsch“ mit Ralph Morgenstern, und für die ZDF-Serie „Die Menschen von Weesenstein“.

Sie haben sich die Erkennungsmelodie und das Audiodesign für 3Sat ausgedacht, aus ihrer Feder stammt die Musik der ZDF-Doku-Soaps „Frankfurt Airport“ und „Hamburger Hafen“. Sie untermalen Dokumentationen und Reportagereisen der so genannten „Dienstagsdokumentation“ im ZDF, die, wie der Name schon sagt, immer dienstags um 20.15 Uhr gesendet werden. Die beiden arbeiten in Kiedrich im Rheingau und sind Musiker mit Leib und Seele.

Schon seit vielen Jahren arbeiten sie gemeinsam in den unterschiedlichsten musikalischen Bereichen. Sie haben als Instrumentalisten (Klavier, Keyboards, Gitarre), Arrangeure und Komponisten für Rundfunk-, Fernseh-, Theater- und Musical-Produktionen (HR, WDR, ZDF, Staatstheater Wiesbaden, Darmstadt u.a.) wichtige Erfahrungen gesammelt.

„Das kommt uns heute sehr zu Gute“, erklärt Tobias Bösel. „Denn jeder Film hat seinen eigenen Charakter und verlangt nach einem anderen Musikstil.“

Für die Film-Serie über das Fürstenhaus von Monaco haben sie die Titelmusik als „schwungvollen“ Orchester-Walzer arrangiert. Er steht für die glücklichen Jahre des Traumpaares Grace Kelly – Rainier, eine der ganz großen Romanzen des 20. Jahrhunderts. Im Film gibt es viele Variationen, des eingängigen musikalischen Hauptthemas. Sie unterstützen die Stimmung der jeweiligen Filmszene: mal melancholisch reduziert für Klavier, oder positiv modern im Latin-Style mit Saxofon. Wichtige Aufgabe der Filmmusik hier: die unterschiedlichen Zeitsprünge (schwarz-weiß/damals, Farbe/heute) und Ortswechel (Monaco/New York) musikalisch zusammenzufügen.

Die Entstehung eines solchen Soundtracks ist ein langer Prozess, der bei den beiden im Team abläuft. „Am Anfang steht das Drehbuch. Oft bekommen wir erste Filmsequenzen, um einen ersten Eindruck von dem Gesamtwerk zu erhalten. Wir reden über den Film und sammeln erste Ideen“, erklärt Siegfried Rolletter. „Dann ziehen wir uns gewöhnlich zurück und jeder arbeitet für sich eigene Ideen aus.“ „Musik lebt aus dem Bauch heraus“, erklären die beiden. „Wir schauen uns eine Szene an und überlegen, welche Emotionen sollen unterstützt werden. Was möchte der Autor ausdrücken. Dann entstehen meist erste Ideen für eine Melodie, einen Klang oder einen Rhythmus.“

Steht das Hauptthema eines Films, wird entschieden, welche Instrumente zum Einsatz kommen. Diese reichen von einer einzelnen Gitarre, einem Klavier oder Saxofon, bis hin zu einem ganzen Sinfonie-Orchester. Nun arbeiten die beiden zweigleisig. Stehen einzelne Instrumente im Vordergrund, werden sie „live“ eingespielt. „Der Charme und die Lebendigkeit eines von-Hand-gespielten Instruments ist eben nicht zu imitieren“. Auf der anderen Seite kommen gesampelte Instrumente zum Einsatz. Das heißt, in ihrem Studio haben sie die unterschiedlichsten Instrumente akkustisch aufgenommen und die Klänge digitalisiert, so dass jeder Ton über das Master-Keyboard abrufbar ist.

Auf diese Weise können die zwei Komponisten mit Hilfe von Keyboard und Computertechnik ein ganzes Orchester lebendig werden lassen.

Schließlich wird den Filmautoren eine erste Demofassung der Musik vorgelegt, die jedoch schon höchsten Ansprüchen genügen muss. Diese geben ihren Segen oder Anregungen für die weitere musikalische Entwicklung.

Die schwierigste Arbeitsphase kommt aber erst, wenn der Film bereits fertig geschnitten ist, dann muss die Musik auf die fertigen Bilder komponiert und arrangiert werden. Das ist kompositorische Millimeter-Arbeit. Und genau hier liegt der Unterschied zu Archivmusik. Die Musik von Bösel und Rolletter kann Nuancen/Emotionen betonen, die nicht vordergründig im Bild zu sehen sind, einen individuellen Spannungsbogen für den gesamten Film erzeugen. Die Film-Musik kann die Einstellung des Zuschauers zu einer Szene ganz entscheidend verändern. Sie weckt negative Assoziationen oder verleiht ihr Glanz. Am Computer werden die unterschiedlichen Tonspuren, auf denen die verschiedenen Instrumente eingespielt wurden, abgemischt. Parallel dazu läuft auf einem Monitor der Film. Eine Sekunde Film besteht aus 25 Bildern, so genannten Frames. Sie werden jetzt zur Maß-Einheit für die Musik. Mit Hilfe des Computers werden Ton und Bilder synchronisiert. Um heute Komponist zu sein, muss man eben nicht mehr nur ein Musikinstrument beherrschen, sondern auch moderne Software- und Computertechnik.

„Unsere Spezialität ist es, für ein Filmprojekt maßgeschneiderte eingängige Musik zu komponieren.“ erklärt Tobias Bösel. „Wichtig bei Dokumentationen ist, dass die Musik nicht zu fiktional wird, das heißt, dass sie nicht zu stark klingt wie aus einem Spielfilm und so dem ganzen die Glaubwürdigkeit und Autentizität raubt.“ Natürlich gibt es auch bei Dokumentationen spielfilmartige Szenen, die nach großer Filmmusik verlangen. Welche Rolle Musik in einem Film spielt, entscheidet sich in der Zusammenarbeit mit dem Autor und der Redaktion. Es wird gemeinsam festgelegt ob sie lediglich Übergänge markiert oder ob sie den Film maßgeblich beeinflussen soll. Für Fürst Rainier wird sie jedenfalls eine ganz entscheidende Rolle spielen. Gleicht sein Leben nicht dem eines tragischen Opernhelden?

Autor: Torsten Strauss

VORSICHT-Artikel vom September 2003