Seelen auf dem Weg nach Hause

Für die aktuelle Terra X-Dokumentation „Mordakte Museum“ haben Tobias Bösel und Siegfried Rolletter die Filmmusiken komponiert. In beeindruckender Weise ist das ZDF-Team einer unglaublichen Geschichte aus der Vergangenheit auf die Spur gekommen. Als im 19. Jahrhundert die englische Kolonialmacht in die Welt der australischen Aborigines einbricht, verlieren die Ureinwohner in kürzester Zeit alles – selbst ihre Schädel und Gebeine. Ähnliches geschieht wenige Jahre später auch in der deutschen Kolonie Süd-West-Afrika, dem heutigen Namibia. Der Evolutionsbiologe Matthias Glaubrecht begibt sich für das ZDF auf Spurensuche und entdeckt dabei, wie leicht Wissenschaftler damals auf Abwege geraten konnten. Zu Hunderten landeten die Gebeine der Eingeborenen in Forschungsinstituten und Museen weltweit. Heutige Wissenschaftler müssen sich dieser Vergangenheit stellen, denn immer öfter werden Stimmen laut, die die Rückführung dieser Stücke fordern, damit sie nach den Jahrtausende alten, traditionellen Ritualen würdevoll in ihrer Heimat bestattet werden können.

Das ZDF sendet „Terra X: Mordakte Museum“ am 6. März 2011, um 19.30 Uhr. Die Arte-Langfassung ist bereits am 5.3.2011, um 22:05 Uhr zu sehen.

Der Auftrag

Als die Komponisten von den Autoren Jens Monath und Heike Schmidt mit der Materie „Mordakte“ vertraut gemacht wurden, ahnten Sie bereits die Intensität dieses Themas. Der Inhalt des Films und der Charakter der Musik wurden in groben Zügen besprochen. Aufgrund der zum Teil schrecklichen Vorgehensweise der damaligen Sammler vor Ort, aber auch aus Respekt vor den Gefühlen der Lebenden und dem Andenken der Toten, sollte eine reduzierte spannende Musik komponiert werden, die zugleich aber auch versöhnlich und schön klingen sollte, wenn die phantastischen Landschaften der Ureinwohner gezeigt werden. Musiken, die quasi selbst auf der Spuren-Suche nach der Wahrheit sind, nach der Grausamkeit, aber vor allem auch nach Versöhnung und Wiedergutmachung.

Filmmusiksequenzen – Ringbalin

Siegfried Rolletter und Tobias Bösel wollten mit Ihren Musiken so nah wie möglich ans Geschehen. Die Komponisten hatten die Idee Originaltöne aufzunehmen, die sie dann später in ihre Kompositionen einfügen wollten. Fast ein Jahr arbeiteten Sie mit viel Sorgfalt an den einzelnen Sequenzen. In intensiven Recherchen haben sie versucht Kontakt mit Menschen aufzunehmen, die einen direkten Bezug zu Australien und den Ureinwohnern haben. Vor allem wurden „Native Speaker“ der Aborigines gesucht. Die Komponisten wollten unbedingt mit Originalstimmen arbeiten, jedoch war es in Deutschland unmöglich, auch nur einen einzigen Aborigine zu einer Studioaufnahme einzuladen.

Also wurden im September 2010 kurzerhand die Autoren gebeten, bei ihrem Dreh in Australien, Originalstimmen aufzunehmen. Ein Glücksfall war dabei die Mitwirkung von Major Sumner. Er ist ein sogenannter Elder oder Führer des Ngarrindjeri-Volkes. Er hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, so viele Knochen und Gebeine der australischen Ureinwohner in die Heimat zurück zu holen wie möglich. Wann immer menschliche Überreste zurückgeführt werden ist er zur Stelle, um sie mit einer Zeremonie zu begrüßen. Im Film sieht man Major Sumner in seiner rituellen rot-weiß-gestreiften Bemalung. Für die Aufnahmesession hatten die Komponisten dem ZDF-Team die bereits komponierte Titelmusik auf CD mitgegeben. Major Sumner erklärte sich bereit, mit Kopfhörer und Mikro ausgestattet, die gewünschten Worte direkt auf die Titelmusik einzusingen. Ebenso wurden Klanghölzer und ritueller Gesang vor Ort aufgenommen. Dank der Vermittlung des Regisseurs und der versierten Toningenieurin Steffi Kuhn, hat die Aufnahme in Australien hervorragend funktioniert. Wer genau hinhört, kann Major Sumners tief geerdeter Stimme folgende Worte entnehmen:

Ringbalin – Zeremonie
Ngrikulun – Tanz
Kenti – Rauch
Thrupin – Wasser
Ruwe – Land
Wangami – Känguruh
Pinuli – Emuh

Im TS-Tonstudio in Deutschland wurden diese Original-Töne bearbeitet. Sie tauchen in verschiedenen Filmmusiken auf und geben dabei den „rastlosen Seelen“ eine Stimme. Es klingt fast gespenstisch, wie eine Seele aus einer anderen Welt.

Auf den brillanten Filmschnitt von Wolfgang Daut konnten die Komponisten exakt arbeiten. Wenn Major Sumners rauchiges „Wangami“ ertönt, haben die Aborigine im Film ein Känguruh erlegt. Eine außergewöhnliche Originalszene aus dem Archiv, die vor einem halben Jahrhundert mit dem Stamm der Pintubi gedreht wurde.

Doch damit nicht genug. Am Feinschliff wurde weiter gearbeitet. Die beiden Komponisten sangen selbst weitere Stimmen ein. Nein, es ist kein nachgeahmter Aborigine-Gesang, darauf bestehen sie. Dennoch konnten einzelnen Passagen der Filmmusik so durch ihre eigenen rauchigen Stimmen bestimmte Klangfarben verliehen werden.

Im Film wurde intensiv mit Musik gearbeitet, das war Vorgabe des Teams. So konnten sich die Komponisten voll einbringen und ihrer Kreativität freien Lauf lassen. „Ob uns das gelungen ist, müssen andere entscheiden“, so Tobias Bösel und Siegfried Rolletter lachend „wir sind jedenfalls sehr zufrieden, mit dem gesamten Ergebnis“.

Am Ende des Films erklingt wie eine Hymne der Song des australischen Musikers und Aborigines Glenn Skuthorpe „Save our restless souls“. Denn nur wenn man diese Geschichten erzählt, so die Aborigines, kann es am Ende vielleicht Versöhnung geben.

Kiedrich, 03. März 2011

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